Kodex zur Wissenschaftsfreiheit

Kodex WfreiheitAm 25. April 2023 hat der Senat der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg (HfPol) mit großer Mehrheit einen Kodex zur Wissenschaftsfreiheit beschlossen. 

Ausgangspunkt waren umfangreiche bundesweite Medienberichte über die Universität Hamburg im Februar 2022. Diese hatte am 02.02.2022 einen Kodex zum Schutz der wissenschaftlichen Freiheit in ihrem Leitbild verankert und diesen selbst erstellten „Kodex zur Wissenschaftsfreiheit“ medienwirksam veröffentlicht.

Dem vorangegangen waren mehrfache massive Störungen von Vorlesungen des VWL-Professors Dr. Bernd Lucke im Wintersemester 2019/20. Dieser hatte im Jahr 2013 die AfD mitbegründet, war im Jahr 2015 wieder aus ihr ausgetreten, und gründete im selben Jahr 2015 die Partei Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA) mit, die sich später in Liberal-Konservative Reformer (LKR) umbenannte. 

Nachdem Prof. Dr. Lucke von 2014 bis 2019 von der Universität Hamburg für seine politischen Tätigkeiten beurlaubt worden war, kehrte er zum Wintersemester 2019/20 an seinen Lehrstuhl zurück und nahm seine Lehrtätigkeit wieder auf. In seinen (Wieder-) Antrittsvorlesungen im Fach „Makroökonomik“ kam es dann von Seiten zahlreicher, teilweise vermummter Störer, die sich zuvor zum Teil gewaltsamen Eintritt in den Vorlesungssaal verschafft hatten, zu wilden Tumulten inklusive persönlicher Beleidigungen und körperlicher Angriffe auf die Person Prof. Dr. Lucke. Letztlich führte das dazu, dass er seine Vorlesungen abbrechen und den Hörsaal unter Polizeischutz fluchtartig verlassen musste.Dieser Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit wurde nicht nur von den Leitungsgremien der Universität Hamburg scharf kritisiert, sondern unter anderem auch vom Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes Prof. Dr. Bernhard Kempen, vom Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz Prof. Dr. Peter-André Alt, sowie von verschiedenen prominenten Vertretern aus Politik, Medien und Gesellschaft. Als Reaktion auf diese Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit erarbeitete eine Kommission aus 14 Personen verschiedener Statusgruppen der Universität Hamburg im Auftrag des Akademischen Senats und des Präsidiums der Universität Hamburg den „Hamburger“ Kodex zur Wissenschaftsfreiheit.

Die wissenschaftsfeindlichen Vorfälle an der Universität Hamburg sind jedoch kein Einzelfall. Die Freiheit von Forschung und Lehre an Hochschulen gerät zunehmend unter Druck. So häufen sich Medienberichte nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Ländern wie z. B. Großbritannien, Polen, Ungarn oder den USA, wo die Wissenschaftsfreiheit sowohl vom linken als auch vom rechten politischen Spektrum angegriffen wird. Dies kann subtil z. B. durch Störungen von Vorlesungen geschehen („cancel culture“) oder durch das Absagen von wissenschaftlichen Vorträgen oder Diskussionsrunden zu kontroversen gesellschaftspolitischen Themen („de-platforming“), als auch durch das Kürzen von Forschungsgeldern bei politisch missliebiger Forschung oder durch organisationsrechtliche Einschränkungen des Selbstverwaltungsrechts der Hochschulen durch den Gesetzgeber.

Das war Anlass genug, in einer Sitzung des Senats der HfPolBW am 24.01.2023 darüber zu diskutieren, ob auch an unserer Hochschule Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit denkbar seien, und ob sich die Hochschule ebenfalls einen „Kodex Wissenschaftsfreiheit“ geben sollte. Beides wurde im Ergebnis mehrheitlich bejaht. Offen blieb dabei in dieser Sitzung noch, ob sich die HfPolBW einen eigenen Kodex zur Wissenschaftsfreiheit erarbeiten sollte, oder ob sie die Vorarbeit der Hamburger Kommission inhaltsgleich übernehmen und lediglich sprachlich anpassen sollte. Zu letzterem hatte der Präsident der Universität Hamburg Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Lenzen auf Anfrage sein Einverständnis gegeben, wofür ihm an dieser Stelle ein herzliches „Dankeschön!“ gebührt.

Nachdem die beiden Varianten (Erarbeitung eines eigenen Kodex oder inhaltsgleiche Übernahme des Hamburger Kodex) im Nachgang zur Senatssitzung vom 24.01.2023 in allen vier Fakultätsräten der HfPolBW diskutiert wurden, kam es am 25.04.2023 zur Abstimmung im Senat. Dabei wurde in öffentlicher Sitzung mit großer Mehrheit beschlossen, dass die HfPol den Hamburger Kodex zur Wissenschaftsfreiheit inhaltlich unverändert übernimmt und diesen lediglich sprachlich anpasst (z.B. „Hochschule für Polizei Baden-Württemberg“ anstatt „Universität Hamburg“).

Damit schafft die HfPolBW kein „neues“ Recht. Die Wissenschaftsfreiheit war und ist verfassungsrechtlich in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes sowie einfachgesetzlich in § 3 des Landeshochschulgesetzes Baden-Württemberg (LHG) verankert. In dem vom Senat der HfPolBW verabschiedeten Kodex zur Wissenschaftsfreiheit steht nichts geschrieben, was nicht bereits herrschende Meinung und ständige Rechtsprechung zur Wissenschaftsfreiheit wäre. Er fasst allerdings prägnant und verständlich das Wesentliche zur Wissenschaftsfreiheit zusammen und formuliert hierfür elf Kernthesen.

Bei Angriffen auf die Wissenschaftsfreiheit können sich diejenigen Mitglieder unserer Kernhochschule, die unter § 9 Abs. 1 LHG fallen und sich daher auf die Wissenschaftsfreiheit berufen können (wissenschaftliches Personal und Studierende), aber auch die Hochschule selbst auf diesen Kodex berufen. Die Wissenschaftsfreiheit wird tatsächlich gelebt, die Verantwortung dafür nicht auf Leitungsgremien oder „den Staat“ abgeschoben. Die Träger der Wissenschaftsfreiheit sind nun nicht mehr ausschließlich auf juristische Verweisungen auf Grundgesetzartikel, Gesetzeskommentare, Grundrechtslehrbücher oder Rechtsprechung zur Freiheit der Forschung und Lehre angewiesen, sondern können sich auch direkt auf den verabschiedeten Kodex zur Wissenschaftsfreiheit berufen, wenn sie Wissenschaftsfreiheit einfordern.

Beitrag von Prof. Dr. Matthias Schatz, Fakultät III

 

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